Forum Entwicklungspolitik Brandenburg
wird herausgeben vom VENROB e.V.
FEB Ausgabe 12 (2022)
Heike Möller (Hrsg.)
“Halbzeit für AGENDA 2030!
Wo stehen wir in Brandenburg?”
© WeltTrends, Potsdam 2022
52 Seiten / kostenfrei
Bestellung: info@venrob.de
Heike Möller (Hrsg)
Halbzeit für AGENDA 2030!
Wo stehen wir in Brandenburg?
In einem Film, in dem du nicht sein willst.
Es beginnt mit einer Anekdote. Vor vielen Jahren wollte ich mir in einem dieser seelenlosen Multiplexkinos irgendwo im Brandenburger Land einen Science-Fiction Film ansehen. Ich war die einzige im Saal, der Film begann sofort. Ich wunderte mich, weshalb der vermeintlich vorgeschaltete Werbetrailer so lange dauerte – es ging um den neuen James Bond „Stirb an einem anderen Tag“. Bis ich ungeduldig aufstand und mich auf die Suche nach dem Ticketverkäufer machte. Währenddessen lief James Bond weiter. Irgendwann fand ich ihn, nicht James Bond, sondern den, der mir die Eintrittskarte verkauft hatte. Er stellte fest, dass er die falsche Filmrolle eingelegt hatte, diese aber nicht gestoppt werden könne, sondern bis zum Ende durchlaufen müsse.
Das Gefühl, voller Erwartungen und Vorfreude im falschen Film zu sitzen, ist mir seit damals vertraut. Ich habe es auch heute immer mal wieder. Es überkommt mich immer dann, wenn die Erwartung offensichtlich nicht mit der Realität übereinstimmt.
Als 2015 die 17 Sustainable Development Goals, kurz SDGs, die ausgedienten acht Milleniums-Ziele ablösten, war die Euphorie der Weltgemeinschaft groß. Die Agenda 2030 war nichts weniger als ein „Weltzukunftsvertrag“, in dem der globale Rahmen für die Nachhaltigkeitspolitik der folgenden 15 Jahre abgesteckt werden sollte. Heute, Ende 2022 und bei Halbzeit, reibt man sich verwundert die Augen und fragt sich, wie groß das Ausmaß der zu erwartenden Katastrophen sein muss, bevor es zum vielzitierten, benötigten Ruck in der Zivil- oder besser Konsumgesellschaft, da sind wenigstens alle dabei, kommt.
Gegen eine gefährlich Apokalypse-Blindheit forderte der französische Sozialphilosoph Jean-Pierre Dupuy einen „aufgeklärten Katastrophismus“, damit wir rechtzeitig aktiv werden, um Gefahren abzuwehren. Es ist keine Frage mehr, ob das Stromversorgungsnetz oder die Wärme- oder Wasserversorgung zusammenbricht, sondern wann. Eine „Nur-keine-Panik-Haltung“ lenkt nach Karl Jasper in die falsche Richtung. Er setzte darauf, dass „Angst der Grund zur Hoffnung“ sei. Aber Zukunftsangst ohne Hoffnung lähmt. Wie können wir also unseren Kindern ein Grundvertrauen in ihre Entwicklung vermitteln, angesichts ständiger Bedrohungsszenarien? Die populistische Angstpolitik tut das Ihre dazu. Wir aber entrüsten uns über unseren Nachwuchs, der von der Erkenntnis ins Handeln kommt und seinem Protest über den vermeintlichen Stillstand Ausdruck verleiht und sich auf Hauptverkehrsstraßen festklebt. Die Forderungen der Jungen sind so wenig ausgegoren wie die Reaktion der Alten gerechtfertigt. Man muss keinen Generationenkonflikt herbeireden, wo das Maß der Dinge das persönliche Streben nach Glück – oder auf Neudeutsch „Pursuit of Happiness“ ist.
Sprache als Übermittlerin von Kulturtechniken und ‑errungenschaften von Zivilisationen ist auch ein Machtinstrument. Wir nutzen das geschriebene Wort, um uns und anderen in Erinnerung zu rufen, was gestern angekündigt wurde, um es morgen umzusetzen. Seit 12 Jahren versuchen wir zu dokumentieren, was es mit der Zielstellung der SDGs im Rahmen der Agenda 2030 in Brandenburg auf sich hat, und was erreicht wurde. Nun ja, der Weg ist das Ziel, oder besser, die Ziele, gespickt mit Modellen zur Indexierung all dessen, was das kollektive Leben ausmacht. Dann übernimmt irgendwann, bevor es zu spät ist, die KI, die das vermutlich ohnehin viel besser als wir armseligen, triebgesteuerten Wesen kann.
Bis es so weit ist, empfehlen wir die Lektüre dieser Ausgabe von „Forum Entwicklungspolitik Brandenburg“, die sich Krisen jeglicher Art widmet und wie ihnen hierzulande entgegengetreten wird. Noch im Pandemiemodus hat uns der russische Überfall auf die Ukraine kalt erwischt. Die Folgen sind bekannt und werden hinlänglich beschrieben. Eine engagierte Stimme aus Bad Freienwalde in Brandenburg ist der im Februar 2020 gegründete Verein „Wir packen’s an“. Seine Mitglieder haben sich der Aufgabe gewidmet, praktische Solidarität mit Menschen in und Geflüchteten aus der Ukraine sowie aus anderen Kriegs- und Krisenregionen zu leisten. Dafür gab es Lob und Auszeichnung von der Landesregierung, die sich aber gleichzeitig der Kritik auf anderer Ebene stellen musste.
Eine Stellungnahme des BMZ zum aktuellen Migrationsgeschehen, basierend auf Flucht und Vertreibung, die überwiegend in den Ländern des Globalen Südens stattfindet, liefern Stefanie Scharf und Jochen Steinhilber. Die Zahl der Geflüchteten bricht alle Rekorde, die Ursachen sind multikausal und die alles überspannenden Auswirkungen der Klimaveränderungen tun das Ihre dazu. Globale Mobilität positiv interpretiert kann auch Möglichkeiten aufzeigen. So werden Ansätze genannt, wie in einzelnen Bereichen konstruktiv eingegriffen werden kann.
Die Nachhaltigkeitsplattform in Brandenburg als aktives Kommunikationsforum und Netzwerk sowie der Nachhaltigkeitsbeirat der Landesregierung setzen sich seit Beginn der Legislaturperiode mit den Stimmen der unterschiedlichsten Stakeholder auch mit den Eckpunkten des Brandenburger Klimaplans auseinander. Einen Bericht zum Status Quo des bisher Erreichten fassen der Vorsitzende beider Gremien, Ortwin Renn sowie Ira Matuschke, beide vom IASS, zusammen.
Schwerpunkt der diesjährigen Ausgabe ist der Bericht über die Arbeit des Round Table Entwicklungspolitik. Inhaltlich geleitet bezogen sich die Beiträge und Diskussionen – angefangen vom Grußwort des ranghöchsten Mitglieds der Landesregierung Brandenburgs bis zu den Vertretern einzelner Ressorts – auf den Stand der Fortschreibung der Entwicklungspolitischen Leitlinien sowie der Nachhaltigkeitsstrategie der Landesregierung wohlgemerkt, nicht des Landes Brandenburg. Am Nachmittag war Jochen Steinhilber zugeschaltet. Bis auf einige allzu kritische Äußerungen finden sich die von ihm vorgestellten Thesen und Schwerpunkte seiner Arbeit im BMZ im Bericht wieder. Das Monitoring der Stakeholder rundete die endlich wieder in Präsenz stattgefundene Veranstaltung ab.
Wer mehr über das Brandenburger Promotoren-Programm und seiner Stellenprofile wissen möchte, der vertiefe sich in Uwe Prüfers Beitrag „Es promotort weiter“. Mit vier Halbtagsstellen soll die strategische Verknüpfung der von den NGO getragenen entwicklungspolitischen Anliegen und Schwerpunkte mit der Brandenburgischen Entwicklungspolitik der Landesregierung sowie mit der Nachhaltigkeitsstrategie des Landes vorangebracht werden.
Für die Kolleg:innen der BREBIT waren die Auswirkungen der Corona-Pandemie Unglück und Segen zugleich. Schulschließungen und Ausfall des Präsenzunterrichts sorgten dafür, dass etliche Kolleg:innen in andere, bezahlte Jobs abwanderten, ein branchenübergreifendes Phänomen. Allerdings sorgte der damit einhergehende Digitalisierungsschub an Schulen aller Art dafür, dass hierarchische Informationsstrukturen aufgebrochen wurden und rund ein Drittel neue Schulen als Teilnehmer hinzugewonnen werden konnten.
In den folgenden Beiträgen geht es um die Auswirkungen der Mittelkürzungen auf die Arbeit der kirchlichen Promotor:innen, verbunden mit der provokanten Frage, ob diese das Ende des entwicklungspolitischen Engagements bedeuten. VENROB stellt die Ergebnisse seines Bildungsprojekts: Ländliche Regionen in Brandenburg: nachhaltig, weltoffen und solidarisch in die Zukunft vor. Wie man erfolgreich entwicklungspolitische Fragestellungen mit alltäglichen Bedürfnissen wie der Nahrungsmittel-Sicherheit kombiniert, zeigte das FestEssen, das Festival für regionalen und klimafreundlichen Genuss im schönen Werder. Sinnstiftende Antworten zur Arbeit von gut funktionierenden Städte- und Klimapartnerschaften bietet der Bericht über Baruth/Mark und seiner Partnerstadt Murun in der Mongolei. Um Vernetzung, der Vorstellung eines in Baden-Württemberg praktizierten Nachhaltigkeitschecks, Krisenmanagement und nachhaltige Stadtentwicklung geht es im Rückblick auf die 7. Schlossgespräche in Baruth/Mark.
Um den Bogen zum Anfang zu spannen: Klar bin ich sitzen geblieben im Kino und habe mir „Stirb an einem anderen Tag“ angesehen, um festzustellen, dass es weitaus bessere James Bond Filme als diesen gibt.
Heike Möller, Potsdam im Dezember 2022