Forum Entwicklungspolitik Brandenburg
wird herausgeben vom VENROB e.V.
FEB Ausgabe 11 (2021)
Heike Möller (Hrsg.)
“Brandenburg: nachhaltig + kommunal + international”
© WeltTrends, Potsdam 2021
60 Seiten / kostenfrei
Bestellung: info@venrob.org
Heike Möller (Hrsg)
BRANDENBURG:
NACHHALTIG + KOMMUNAL + INTERNATIONAL
Alles eine Frage der Perspektiven
Der 1895 in Milton im US-Bundesstaat Massachusetts geborene Buckminster ‚Bucky‘ Fuller, Multitalent aus etabliertem Hause, war nach einigen beruflichen Fehlschlägen beseelt von der Idee, herauszufinden, was eine einzelne Person dazu beitragen kann, die Welt zum Nutzen der Menschheit zu verändern. Jahrzehnte lang hatte er wie besessen gearbeitet und immer neue Ideen und Erfindungen produziert, ohne wirklich einen materiellen Nutzen daraus zu ziehen. Er erkannte im Zusammenwirken verschiedener Kräfte, Stoffe oder Faktoren ein durchgängiges systemisches Wirken unter ökonomischen Prinzipien. Aus den sich daraus ergebenden Synergieeffekten resultierte seine Leidenschaft für die Optimierung von Material- und Energieeffizienz. Seine Leitsprüche “Don’t fight forces – use them“ oder “Think global – act local“ haben sich fest im Bewusstsein der Menschen verankert. So erfand er beispielsweise ein aerodynamisches Dreiradauto, das großen Anklang in der Raumfahrtentwicklung fand. Sein energieeffizientes Dymaxion-Haus, das in der Kombination von einem Maximum an Wohnraum mit einem Minimum an Oberfläche für einen geringstmöglichen Heizungs- und Klimatisierungsaufwand sorgte, wurde zum Prototyp für die sogenannten geodätischen Kuppeln, bekannt aus Science Fiction Filmen, Ausstellungen und Militäranlagen.
Und er stellte die Erdoberfläche auf einer flachen Ebene dar – der Dymaxion-Landkarte. Als sich Astronauten zum ersten Mal auf die Erdumlaufbahn begeben wollten, verwendeten sie seine Dymaxion-Landkarten. Sie zeigen die ganze Erdkugel zweidimensional und mit einer deutlich geringeren Verzerrung der Flächen, als die uns vertraute Mercator-Projektion. Selbige lässt ein Land kleiner erscheinen, je näher es am Äquator liegt und umgekehrt. Die Landmassen im Norden sind aufgrund der Darstellung auf einer gleichmäßig runden Form unverhältnismäßig groß. Diese Verzerrung schult bis heute den Blick von Abermillionen Menschen und verbindet selbst noch im postkolonialen Verständnis die Größe von Landmassen mit Macht und Zugang zu wertvollen Bodenschätzen.
Bucky Fuller war davon überzeugt, dass die Menschheit ein besseres Verständnis für globale Zusammenhänge und Herausforderungen hätte, wenn sie die Welt als ein voneinander abhängiges Kontinuum visualisieren könnte. Dann gilt nicht mehr „Aus den Augen, aus dem Sinn“, weil ja auf der anderen Seite der Weltkugel. Nebenbei bemerkt ist das übrigens immer die untere Seite, weil man sich selbst ja auf der oberen befindet. Eben alles eine Frage der Perspektive und des konditionierten Denkens. Wenn man raus will aus dieser Denkfalle, dann muss man es ganz bewusst wollen. Das versuchen wir mit dieser elften Ausgabe, in der wir gelebte Städte- und Klimapartnerschaften in Brandenburg in den Focus stellen. Wir berichten über den „neuesten“ Stand der Nachhaltigkeit in Brandenburg, der für manchen „hinterm Mond liegt“ und wir lassen den Verbund Entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen Brandenburgs, kurz VENROB, in eigener Sache zu Wort kommen.
Unsere Autorinnen und Autoren berichten über die verschiedensten Initiativen, entstanden durch persönliche Beziehungen, kleinteilige Schritte oder eine rasante Fahrt in die asiatische Steppe, die es brauchte, die Menschen zusammenzubringen. Deren Probleme sind oft dieselben, in anderer Ausführung. Denn der Müll in Katima Mulilo ist auch unser Müll; die Wasserprobleme teilen sich die in Brandenburg mit denen in der Mongolei und auch der Facharbeitermangel und das generelle Bildungsniveau trifft uns mit voller Wucht. Was können wir ändern, was wissen wir voneinander, wie profitieren wir im Miteinander, um diese Welt gemeinsam lebenswerter zu machen? Wie viel oder besser, welcher Geschichtsaufarbeitung bedarf es, um mit den Nachbarn in der Welt friedlich zu koexistieren, auch nach grausamen Auseinandersetzungen in der Vergangenheit? Welche Fördermechanismen für Wirtschaftsinitiativen gibt es, die Unternehmern hierzulande Kooperationen im Globalen Süden vermitteln? Es gibt reichlich Anregungen und Lesestoff darüber, was sich im Land Brandenburg und dieses für seine Außenwirkung tut.
Die Frage nach der Perspektive spiegelt sich auch im Themenbereich Nachhaltigkeit wider. Brandenburg hat mal wieder einen Nachhaltigkeitsbeirat. Im Gegensatz zum vorhergehenden ist dieser jetzt ‚Chefsache‘, direkt der Staatskanzlei, dem Ministerpräsidenten selbst beigeordnet. Mit dabei sind die untereinander vernetzten Plattformen, namentlich Wissenschaft und Bildung, Wirtschaft und Verwaltung, Jugend und … stimmt, die Kommunen müssten eigentlich auch noch dabei sein. Aber das wird nachgeholt, man will doch den Geist der Nachhaltigkeit auch in der Fläche einpflanzen…
Mit der Nachhaltigkeit ist das so eine Sache. Man muss sie wollen. Dafür gibt’s Anleitungen, nicht nur im Netz. Es sind die Menschen, die die dafür erforderlichen Erkenntnisse mit viel Esprit und Leidenschaft in die Köpfe der Leute zu bringen versuchen. Man nennt sie ‚Promotor:innen‘ und das, was sie tun, ‚Promotor:innenprogramme‘. Das klingt vielleicht bedrohlich, ist aber ausgesprochen sinnvoll und es gibt sie seit vielen Jahren bundesweit. Im Gegensatz zu Querdenkern, Esoterikern oder Verschwörungstheoretikern arbeiten sie dafür, im Sinne der Wissenschaft, Aufklärung und der Mitmenschlichkeit, die Erfordernisse für das Zusammenleben in diesem unserem Lande zu erklären. Denn migrantische Arbeit, Fair Trade, die Nachhaltigkeitsziele, Bildung für nachhaltige Entwicklung und Globales Lernen erklären sich nicht von selbst. Bildungsinhalte, die eigentlich selbstverständlich sein sollten und Bestandteil der Rahmenlehrpläne an Schulen. Wie zum Beispiel die Agenda 2030! Mit welchen Maßnahmen will man denn die Nachhaltigkeitsziele „in die Köpfe der Leute hineinbekommen“, wenn die breite Masse daran keinen Anteil nimmt oder nehmen will? Da gibt es noch so viel entwicklungspolitische Inlandsarbeit zu leisten und was passiert?! Kein Geld mehr da, angeblich eine Auswirkung der Corona-Politik.
Gesundheit geht vor. Dazu gehört aber auch die geistige und seelische Gesundheit. Und die hat während Corona ziemlich gelitten, nicht nur in Deutschland, Europa und der ganzen Welt. Mit einer Pandemie ist nicht zu spaßen, aber die Geschichte zeigt: Es geht immer weiter. Und um mit Nietzsche zu sprechen, „Was uns nicht umbringt, macht uns stärker“.
Resilienzen bilden ist das Stichwort unserer Zeit. Um stark zu sein auch gegen politisch Umtriebige, die lautstark medial eine Spaltung im Land herbeireden, gehört ein gehöriges Ausmaß an zivilgesellschaftliches Engagement. Das findet seinen Ausdruck vielerorts in ehrenamtlicher Arbeit. Ihnen an die Seite gestellt werden sollten deshalb weiterhin die Promotor:innen. Sie möchten ihre wertvolle Arbeit in bewährten Programmen und Projekten fortführen, um die Ziele der Agenda 2030 nicht nur in „kleinen Schritten“ fortzusetzen. Denn ohne die Schritte eines jeden Einzelnen wird uns der vielbeschworene große Wurf nicht gelingen.
Heike Möller, Potsdam im Dezember 2021