Forum Entwicklungspolitik Brandenburg
wird herausgeben vom VENROB e.V.
FEB Ausgabe 6 (2016)
Heike Möller (Hrsg.)
“Entwicklungsland Brandenburg?”
© WeltTrends, Potsdam 2016
ISBN 978 – 3‑945878 – 34‑7
40 Seiten / kostenfrei
Bestellung: info@venrob.org
Heike Möller (Hrsg)
Entwicklungsland Brandenburg?
Warum dieser Titel?
Unser schönes Brandenburg ist in so mancher Hinsicht ein zu entwickelndes Land, vor allem, was das Bewusstsein seiner Bewohner*innen betrifft. Und da sind wir beim Thema dieser mittlerweile sechsten Ausgabe des Forums Entwicklungspolitik Brandenburg: Nachhaltigkeit.
Der Anfang des 18. Jahrhunderts aus der Forstwirtschaft entlehnte Begriff bedeutet zunächst nichts anderes als über den eigenen Lebenszyklus hinaus wirtschaftlich denken und handeln. Wälder entstehen nun einmal nicht von heute auf morgen, wie uns Peter Wohlleben in seinem wunderbaren Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“ nahezubringen versucht. Das impliziert gewissermaßen auch Verantwortung übernehmen für eine kontinuierliche Entwicklung und Grundlage der Wohlstandsbildung für zukünftige Generationen. So wurden Werte geschaffen – materielle wie auch ideelle. Unser kapitalistisches, marktwirtschaftliches System, das sich als scheinbares Erfolgsmodell globaler Ausbreitung erfreut, tendiert allerdings dazu, alles zur Ware zu machen, um die unter großem Konkurrenzdruck gefeilscht und geschachert wird. Wohin das führt, spiegelt sich in der Formulierung der im Vorjahr von der Weltgemeinschaft beschlossenen Nachhaltigkeitsziele wider: Die Einsicht, dass diesem für die Menschheit nicht bekömmlichen Wirtschaften durch menschliche Vernunft Grenzen gesetzt werden muss.
Es ist das Primat der Politik, gesetzliche und steuerliche Vorgaben zu machen und ressortübergreifend ökologische Rahmenbedingungen zu setzen – zwingende Voraussetzungen für nachhaltiges Wirtschaften. Selbst wenn die Einsicht dazu Raum greift, weichen oftmals zu lange Übergangsfristen, schwammige Formulierungen oder Kompetenzgerangel die guten Absichten auf. So wird es auch spannend, wie die 17 Oberziele mit ihren 169 Unterzielen Eingang in zukünftige Politiken finden werden. Es reicht nicht aus, hier und da an Stellschrauben zu drehen, um das latent schlechte Gewissen zu beruhigen, im Großen und Ganzen aber weiterzumachen wie bisher, womöglich noch mit der Begründung: „Was hat es für einen Sinn, wenn ich mein Verhalten ändere, alle anderen es aber nicht tun?“ Liegt nicht vielmehr eine große Befriedigung darin, seine Lebensgewohnheiten derart zu ändern, dass man bereit ist, auf lieb gewordene Angewohnheiten zu verzichten, von denen man genau weiß, dass sie schädlich für sich selbst und für die Umwelt sind? Wir könnten so alle ein wenig zufriedener und glücklicher sein, ohne gleich dem Club der Selbstgerechten anzugehören, an deren Wesen die Welt genesen soll. Wie so etwas im Einzelnen in unserem schönen Brandenburg aussehen kann, haben wir im Folgenden zusammengestellt.
Wenn die ehemalige Ministerin für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg davon spricht, dass regionale Wirtschaftskreisläufe organisiert werden müssten, um die Wertschöpfung in der Region zu halten damit die Menschen davon leben könnten, dann sind das Bilder, die mit Szenarien in Entwicklungsländern vergleichbar sind. Dahin werden unsere in heimischer Massentierhaltung produzierten, aber nicht unbedingt erwünschten Körperteile von Tieren zu Tiefstpreisen verkauft und die regionalen Märkte überflutet. Lokale Produzenten können mit den Niedrigpreisen dieser Exporte nicht konkurrieren, sie werden ihre „Bioerzeugnisse“ nicht mehr los, weil sie im Vergleich zu teuer sind. Das Argument für Massentierhaltung, nämlich nur so die bis Mitte des Jahrhunderts zu erwartende neun Milliarden zählende Menschengemeinde ernähren zu können, wird aber damit ad absurdum geführt.
Uwe Prüfer gibt mit seinem Bericht zur aktuellen Arbeit des Round Table Entwicklungspolitik Brandenburg einen Einblick darüber, was sich hierzulande in puncto Umsetzung und Weiterführung der Entwicklungspolitischen Leitlinien in Komplementarität mit der Nachhaltigkeitsstrategie der Landesregierung tut. Folgt man der Diskussion, gewinnt man die Erkenntnis, dass es noch immer im weberschen Sinne um das Bohren „dicker Bretter“ geht und ist doch andererseits überrascht, wohin die bisher geleistete Überzeugungsarbeit bereits geführt hat.
Dass sich nämlich mit dem Bemühen um ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit für Unternehmen in Brandenburg durchaus Geld verdienen lässt, belegt der EZ-Scout an der IHK Potsdam, Bert Wibel. Konkret führt er Unternehmen in Brandenburg auf, die sich im entwicklungspolitischen Kontext in so fernen Gegenden wie Laos, Peru oder Tunesien engagieren. Wie Nachhaltigkeit und Energieversorgung in Brandenburg bereits heute gefördert und gefordert werden und sich Produktionsprozesse umweltverträglich gestalten lassen, erfahren Sie bei der Lektüre seines Beitrags.
Ein im Land Brandenburg noch wenig bekannter Akteur ist die in Bonn ansässige Stiftung Entwicklung und Frieden (sef:), die sich seit 30 Jahren mit den Herausforderungen und den Krisen dieser Welt, der Verteilung öffentlicher Güter und der Komplexität globalen Regierens befasst. Wie kann die 2030-Agenda in Brandenburg umgesetzt werden? So lautete das Thema der Diskussionsrunde, zu der der Beirat des sfe: im Juni 2016 in Potsdam eingeladen hatte. Ein Bericht dazu finden Sie in diesem Heft.
Darüber und über eine weitere Veranstaltung zum Thema „Brandenburger Kommunen als globale Akteure“ berichtet Heinz-Joachim Lohmann. Der in seiner Art erste Workshop fand im April 2016 an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung statt und brachte bei leider geringer Beteiligung kommunaler Vertreter zukunftsorientierte und praktikable Lösungsansätze für Kommunen – z. B. bei der Bewältigung der Integration von Geflüchteten.
Der Beitrag von Abdou R. Diallo, einem der Promotoren für Entwicklungspolitik in Brandenburg, befasst sich mit den Menschen globaler Identität sowie ihren Organisationen in der Diaspora im Allgemeinen und im Besonderen mit dem zukünftigen Netzwerk Migrantenorganisationen Brandenburg (NEMIB).
Wie eine gelungene Zusammenarbeit von Potsdam mit einer Region des globalen Südens aussehen kann, mit welchen Inhalten und Perspektiven sie gefüllt wird, zeigt ein Bericht von Michael Swiacki und Linda Schneider zur Nachhaltigkeit bei Städtepartnerschaften am Bespiel von Potsdam und Zanzibar Town.
Patrick Schnabel, zuständig für den Kirchlichen Entwicklungsdienst der Evangelischen Kirche Berlin- Brandenburg-schlesische Oberlaussitz, schreibt über die Bemühungen um Nachhaltigkeit auf landeskirchlicher Ebene und ihre Instrumente wie das landeskirchliche Siegel „Faire Gemeinde“.
Eine kurze Zusammenfassung über den neuen Rahmenlehrplan für die Jahrgangsstufen eins bis zehn für Berlin und Brandenburg und seine Bedeutung für die Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BNE) und das Globale Lernen (GL) gibt Nadine Düppe. Uwe Prüfer stellt das ESD Expert Net vor, eine Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Indien, Mexiko und Südafrika bei der Ausgestaltung und Umsetzung von Bildungspolitik. Abschließend berichtet Josef Ahlke über den Stand des im Sommer eingerichteten Regionalen Nachhaltigkeitsnetzwerkes für Deutschland (RENN).
Alles in allem ein buntes Spektrum an Aktivitäten, das interessierten Leser*innen einen Einblick in gelebte Nachhaltigkeit in Brandenburg gewährt und – im besten Sinne – zum Mitmachen anregt!
Heike Möller, Potsdam im Oktober 2016