Dokumentation der Fachtagung
vom 4. bis 5. Juni 2018 in der Evangelischen Bildungsstätte auf Schwanenwerder
Herausgeben vom Verbund Entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen Brandenburgs e.V. (VENROB)
V.i.S.d.P.: Uwe Prüfer
Redaktion: Heike Möller
Layout & Satz: Max Haberstroh
Druck: solid earth, Berlin
Bestellung: info@venrob.org
Gefördert durch Mittel des Ministeriums der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg.
Dokumentation der Fachtagung
Neustart in der entwicklungspolitischen Kommunikation
4. bis 5. Juni 2018 | Evangelische Bildungsstätte auf Schwanenwerder
Veranstalter: Evangelische Akademie zu Berlin
Gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung und das Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg (MdJEV)
In Zusammenarbeit mit: Verbund Entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen Brandenburgs (VENROB e.V.), World University Service Deutschland e.V. (WUS), Stiftung Nord-Süd Brücken, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung / Referat Reden und Bürgeranfragen, Senatskanzlei der Freien und Hansestadt Hamburg / Ab- teilung Internationale Zusammenarbeit und dem MdJEV / Abteilung Europaangelegenheiten
Moderation: Detlev Groß (MdJEV) und Heinz-Joachim Lohmann (Ev. Akademie)
Vorwort
In Europa sichert die Europäische Union für ihre Mitgliedstaaten und deren Bevölkerungen Frieden und wirtschaftliche Stabilität. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das den Müttern und Vätern der europäischen Integration mit Gründung der Montanunion und dem Abschluss der Römischen Verträge zunächst nicht mehr als eine hoffnungsspendende Vision. Ständig erweitert um weitere Mitglieder bleibt die EU auch international ein hervorragendes Beispiel, dass das Heranwachsen gegenseitigen Vertrauens und gemeinsamer Verantwortung in der Zusammenarbeit von Staaten zur Konfliktlösung ohne Waffen möglich und sehr erfolgreich sein kann. Erfolgreich, aber nicht vollends geläutert könnte man angesichts der Spannungen und Uneinigkeiten zwischen EU-Mitgliedern in den letzten Jahren meinen.
Dazu trifft die EU auf eine grundsätzlich sich ändernde Weltpolitik. Eher Nationalismen und Egoismus scheinen in der Außenpolitik zu dominieren. Nahezu jeder Hype – inzwischen in einer auch durchgängig digitalisierten, das heißt verbundenen Welt – wird mitgenommen und sehr schnell gesellschaftlich relevant. Viele Menschen verlassen sich allzu gern allein auf die sogenannten sozialen Medien, in denen eine Flut von Informationen oft den Blick auf tatsächliche Erkenntnisgewinne erschwert und oftmals sogar versperrt.
Die politische Kommunikation scheint in Bezug auf die gesellschaftlich verbindenden Werte und Narrative an Boden zu verlieren. Staatliche Eliten verlieren Vertrauen und ihre Vorbildfunk- tion in wichtigen gesellschaftlichen Zielgruppen gerät ins Wanken. Teile der Bevölkerung meinen auf Kommunikation untereinander und mit staatlichen Akteur*innen verzichten zu können.
Der möglichst freie Zugang zu Informationen, die Fähigkeit ihrer Bewertung durch Bildung und die Vorbildwirkung ist aber der stärkste Kitt, die stärkste Triebkraft demokratisch und pluralistisch organisierter Gesellschaften. Die alten paternalistischen Erzählungen von den Partnergesellschaften scheinen nicht mehr gewollt und entsprechen auch nicht mehr der Arbeitsweise der Akteur*innen. Deswegen muss sich die Kommunikation – Information und Bildung – mit den Bürgerinnen und Bürgern ständig neu erfinden. Auf welche Weise, scheint noch unklar, aber „alles muss auf den Tisch“ mit Formaten, die sofort Teilhabe unterschiedlicher Akteursgruppen an einem Prozess sichern, der unsere Gesellschaft schon verändert hat und weiter verändern wird angesichts für alle erfahrbarer grenzübergreifender Herausforderungen wie zum Beispiel Klimawandel, Migration oder Digitalisierung. Der Rahmen ist international mit den UN-Nachhaltigkeitszielen schon gesetzt, aber die erste Herausforderung und Selbstbehauptung wertschöpfender Demokratien bleibt es, extreme populistische Meinungen als solche zu markieren und zu marginalisieren, gleichzeitig den Menschen Mut zu notwendigen Veränderungen zu machen und nicht die Transformation der Gesellschaft durch – untaugliches – „Gesundbeten“ verhindern zu wollen.
Die nachfolgend dokumentierte Fachveranstaltung „Neustart in der entwicklungspolitischen Kommunikation“ soll ein Beitrag sein, unterschiedliche Akteur*innen und Ebenen (EU, Bund, Länder, Kommunen, Nichtregierungsorganisationen, Kirchen etc.) zusammenzubringen und ihr spezifisches Know-how zu fordern.
Die Impulse der Referentinnen und Referenten und die anschließenden Diskussionen knüpfen an den Stand der entwicklungspolitischen Anliegen und entsprechender Kommunikationsarbeit an. Hier ging es insbesondere auch um das jeweilige Selbstverständnis entwicklungspolitischen Engagements, die Wechselwirkung verschiedener Politikbereiche mit der Entwicklungspolitik und letztendlich auch um das Aufbrechen der Haltung in der Bevölkerung „Was geht mich das an?“.
Ein Fahrplan konnte noch nicht geschrieben werden, aber festzuhalten ist die eindeutige Forderung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer:
Raus aus der jeweiligen Nische der Selbstwahrnehmung! Zusammenarbeit, Diskurs und Dialog sind notwendig. Und das ist wirklich kein Geheimnis mehr.
Steuerungsgruppe der Fachveranstaltung: Heinz-Joachim Lohmann (Evangelische Akademie zu Berlin), Dr. Kambiz Ghawami (World University Service), Axel von Hoerschelmann (Verein zur Förderung von Wissenschaft und Praxis der Mediation), Holger Ehmke (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), Wolfgang Grätz (Senatskanzlei der Freien und Hansestadt Hamburg), Detlev Groß (Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg)
Zusammenfassung
Staatssekretärin Anne Quart begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur Fachtagung „Neustart in der entwicklungspolitischen Kommunikation“. Kommunikation, so gab sie zu Bedenken, ließe sich zwar keinem eindeutigen Indikator zuordnen, sie sei aber ein entscheiden- der Faktor dafür, die Themen dieser Tagung – nachhaltige Entwicklung, Migration, Klima‑, Handels- und Finanzpolitik – stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. Sie wies darauf hin, dass Programm und Inhalt auf die Zusammenarbeit zwischen Vertreter*innen des Bundes und der Länder sowie der Kirchen und von Nichtregierungsorganisationen zurückgehe. Ihrem Appell zur transparenten Kommunikation wurde im Verlauf der Tagung Folge geleistet.
Den Auftakt machte Stephan Bethe, BMZ, der auf das Jahr 2015 zurückgriff und eine Reihe der seit Verabschiedung der Agenda 2030 eingeleiteten Projekte und Maßnahmen aufzählte. In der anschließenden Fragerunde stellte er sich kritischen Fragen zur generellen Kommunikations- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung respektive der neuen Koalition bezüglich ihrer Bemühungen und Ergebnisse bei der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit, Flüchtlingspolitik und nachhaltigen Entwicklung.
Ulrich Post, Welthungerhilfe, forderte in seinem Statement einen deutlichen Paradigmenwechsel zugunsten der Öffentlichkeitsarbeit. Die üblichen Kommunikationsmuster seien erschöpft. Um die Menschen wieder zu erreichen, müssten die gängigen Frames neu definiert werden. Der Ausgangspunkt dafür sei gut, die Spendenbereitschaft der Bevölkerung und ihre Zustimmung zur Entwicklungspolitischen Zusammenarbeit sei ungebrochen hoch. Selbstkritik bestimmte auch den Tenor in der Kommentar- und Fragerunde.
Wie bringen wir den Menschen und vor allem den Jugendlichen die SDGs nahe? Zu dieser Frage referierte Marta Rojas von der SDG Action Campaign. Unter Anwendung digitaler Kommunikationstechnologien bietet die UN mit ihrer in Bonn initiierten Aktionskampagne eine weltumspannende Plattform für Dialog und Partizipation. Ziel ist es, die magische Zahl von 30 Prozent Bekanntheitsgrad der SDGs in Deutschland zu erreichen. Dafür gibt es UN-Unterstützung für diverse Netzwerke, Akteur*innen und Kampagnen.
Johannes Hillje vom Progressiven Zentrum Berlin stellte die Ergebnisse der umfangreichen Studie „Die Rückkehr zu den politisch Verlassenen“ vor. Diese qualitative Umfrage in Form von bis zu 40 Minuten dauernden Interviews wurde im September 2017 sowohl in Frankreich als auch in Deutschland in ländlichen und mittleren Räumen durchgeführt, die insgesamt von überdurchschnittlichen Wahlergebnissen des Front National und der AfD gekennzeichnet waren.
Der zunehmende Bedarf an Meinungsumfragen brachte Steffen Braun, Teilhaber des vor zwei Jahren gegründeten Portals für Online-Marketing Civey, auf die Idee, Online-Umfragen zu aktuellen politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und sonstigen gesellschaftlich relevanten Themen durchzuführen. Aus einem Fragenpool wurden die Antworten auf sechs Fragen zur Entwicklungspolitik herausgefiltert und vorgestellt.
Fritz Reusswig, Soziologe am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), räsonierte über das neu erstarkte „rechte“ Gedankengut und dessen inhaltliche Negation des globalen Klimawandels und seiner Folgewirkungen. Er zählte etliche Beispiele auf, anhand derer er das Narrativ vom „früher war alles besser, weil es da den Klimawandel nicht gab“ offenlegte als die Irreführung einer die konstruktive Auseinandersetzung scheuenden Gruppierung, die glauben machen will, der Klimawandel mache Halt vor nationalen Grenzen.
Den Abschluss des informativen und kompakten Konferenztages machte das Kamingespräch. Zum Thema „Raus aus der Nische“ tauschten die Teilnehmer*innen der Runde sich intensiv über die künftige Rolle und Zielsetzung der zivilen und militärischen Entwicklungszusammenarbeit aus. Ein besonderer Schwerpunkt des Gespräches lag auf der Entwicklung der Republik Kosovo seit dem Ende des Balkankrieges sowie auf den positiven Auswirkungen des deutschen entwicklungspolitischen Engagements in diesem Land und der Region insgesamt.
Zu Beginn des zweiten Tages der Veranstaltung stellte Clemens Potocki dem Plenum die Frage: „Stellen Sie sich vor, die Entwicklungszusammenarbeit würde als Aktie gehandelt. Angenommen Sie hätten diese Aktie. Würden Sie sie kaufen, halten oder verkaufen?“ In sei- ner kritischen Analyse der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit kam er zu dem Schluss, dass ein Crash kurz bevorstehe, wir aber die Zeichen nicht erkennen würden. In einem Neun-Punkte-Forderungskatalog fasste er seine Vorschläge zu einer Verbesserung der Situa- tion zusammen, immer gemessen am eigenen Handlungsmaßstab.
Im weiteren Verlauf des Vormittags wurden in vier Arbeitsgruppen folgende Themen mit jeweils einem Inputgeber diskutiert:
- AG „Helles Köpfchen aber keinen Plan“, moderiert von Detlev Groß. Hier wurde der Zusammenhang zwischen Bildung und Weltoffenheit diskutiert und nach Möglichkeiten gesucht, Kommunikationsprobleme konstruktiv anzugehen.
- AG „Krieg und (Be-)Frieden, moderiert von Axel von Hoerschelmann. Wie wird die Sicherheit bei Auslandseinsätzen gewährleistet und welche Rolle spielen Polizisten im Auslandseinsatz. Einen hochinteressanten Einblick in die Praxis vermittelte Heiko Schmidt, seines Zeichens Leiter des Internationalen Zentrums an der Fachhochschule Polizei in Oranienburg.
- AG „Migration versus Heimat? Geteilter Lebensraum und Homogenitätsvorstellungen“, moderiert von Heinz-Joachim Lohmann. Es wurde u.a. den Fragen nachgegangen, was „Heimat“ für den Einzelnen bedeutet und welche kulturellen Eigenheiten wir bei uns und anderen wahrnehmen.
- AG „Arm, ärmer, am ärmsten“, moderiert von Wolfgang Grätz. Inputgeber Tim Janßen, geschäftsführender Vorstand des gemeinnützigen Vereins Cradle to Cradle, versuchte, das Kreislaufprinzip des Handelns und Konsumierens zu verinnerlichen, um zu einem schonenderen Umgang mit den Ressourcen zu kommen. Auch hier wurden konstruktive Vorschläge zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Akteur*innen und Zielgruppen gesammelt.
In einer Schlussrunde wurden die Ergebnisse aus den vier Arbeitsgruppen zusammengefasst. Das Fazit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer war überaus positiv, sowohl inhaltlich als auch durch das Ambiente, das ihnen der Tagungsort Schwanenwerder bot. Vielleicht – so wurde die Hoffnung geäußert – gibt es im nächsten Jahr eine Fortsetzung der Gespräche …
Heike Möller