VENROB FEB Ausgabe 9 (2019) – Brandenburg auf dem Weg in die Zukunftsfähigkeit?FEB Aus­gabe 9 (2019)

Forum Entwicklungspolitik Brandenburg

wird her­aus­ge­ben vom VENROB e.V.
FEB Aus­gabe 9 (2019)
Heike Möl­ler (Hrsg.)
“Bran­den­burg auf dem Weg in die Zukunfts­fä­hig­keit?”
© Welt­Trends, Pots­dam 2019
ISBN 978 – 3‑947802 – 31‑9
53 Sei­ten /​ kos­ten­frei
Bestel­lung: info@venrob.org

Heike Möller (Hrsg)

Brandenburg auf dem Weg in die Zukunftsfähigkeit?

Mit Nachhaltigkeit ins postfossile Zeitalter

Reden wir übers Wet­ter: Auch 2019 gab es wie­der einen Som­mer mit Rekord­tem­pe­ra­tu­ren, die dem wohl­tem­pe­rier­ten Mit­tel­eu­ro­päer das Was­ser aus allen Poren trieb, wäh­rend­des­sen der Mais auf den Fel­dern ver­dorrte und der Grund­was­ser­spie­gel sank. Das hat zumin­dest par­ti­ell das Bewusst­sein für die glo­ba­len Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels geschärft und für den nöti­gen „Ruck“ in der her­an­wach­sen­den Gene­ra­tion gesorgt. Junge Men­schen gehen aus Angst vor der unge­wis­sen kli­ma­ti­schen Zukunft welt­weit auf die Straße und pro­tes­tie­ren gegen ein „Wei­ter so“. Nach­hal­tig­keit und Wider­stands­fä­hig­keit, soge­nannte Resi­li­en­zen, haben Konjunktur.

Hier­zu­lande bekom­men auch die Ver­wei­ge­rer des Fort­schritts in Gestalt der AfD Auf­trieb. Nicht immer zu Unrecht legen die Vertreter*innen die­ser Par­tei den Fin­ger in die Wunde. Das macht sie aller­dings noch nicht zu Volksvertreter*innen, denen man nach­sa­gen könnte, sie seien „lupen­reine“ Demo­kra­ten. Man möchte nicht wirk­lich wis­sen, zu welch gestal­te­ri­schem Wil­len sie in der Poli­tik fähig sind. Des­halb lässt man sie außen vor und hofft auf Selbst­zer­stö­rung vor wei­te­rer Radi­ka­li­sie­rung; mit Schmud­del­kin­dern spielt man nicht.

Wir leben in einer Über­fluss­ge­sell­schaft, in der nicht alle am Wohl­stand par­ti­zi­pie­ren und andere die Boden­haf­tung ver­lo­ren zu haben schei­nen. Eine Gesell­schaft, die nach außen geeint und nach innen von einer Spal­tung bedroht ist. Nicht nur die Zeit heilt Wun­den, auch das Auf­ein­an­der­zu­ge­hen und das Inter­esse für­ein­an­der. Das Fremde ist nicht auto­ma­tisch feind­lich und umge­kehrt, liegt im Bekann­ten doch so manch beklem­mende Feind­se­lig­keit. Jede Zeit ver­langt nach rich­tungs­wei­sen­den Ent­schei­dun­gen. Das „Wie“ ist eine Stil­frage. Moderne Demo­kra­tien ver­lan­gen nach Par­ti­zi­pa­tion, nicht nach Volks­ent­schei­dun­gen. Ers­te­res bedeu­tet Anteil­nahme und Auf­wand für jeden Ein­zel­nen, Letz­tere füh­ren oft unge­wollt ins Chaos. Gerade den­je­ni­gen, die gehört wer­den müss­ten, lässt der all­täg­li­che Kampf ums Über­le­ben oft nicht die nötige Kraft für demo­kra­ti­sche Teil­habe übrig. Umso wich­ti­ger ist es, auch in ihrem Sinne Ent­schei­dun­gen voranzutreiben.

Wir haben die Ent­schei­dung gefasst, auch in die­sem Jahr mit Heft 9 der Schrif­ten­reihe Forum Ent­wick­lungs­po­li­tik Bran­den­burg ein Kalei­do­skop von Bei­spie­len aus der ent­wick­lungs­po­li­ti­schen und nach­hal­ti­gen Pra­xis in unse­rem schö­nen Bran­den­burg vor­zu­stel­len. Allen voran sei Ort­win Renn genannt, geschäfts­füh­ren­der wis­sen­schaft­li­cher Direk­tor des in Pots­dam ansäs­si­gen Insti­tuts für Trans­for­ma­tive Nach­hal­tig­keits­for­schung (IASS) und Tau­send­sassa auf dem Gebiet der nach­hal­ti­gen Ent­wick­lung. Er betreut im Auf­trag der Lan­des­re­gie­rung von Bran­den­burg die 2018 ein­ge­rich­tete Platt­form „Nach­hal­tig­keit“, die lan­des­weit Initia­ti­ven für eine regio­nal nach­hal­tige Ent­wick­lung ver­netzt und wis­sen­schaft­lich unter­stützt. In sei­nem Bei­trag beschreibt er die Kon­zepte öko­lo­gi­scher, öko­no­mi­scher und sozio-kul­tu­rel­ler Nach­hal­tig­keit und arbei­tet die zen­tra­len Über­schnei­dun­gen her­aus. Ihre Vor­aus­set­zun­gen sind eine funk­tio­nie­rende Kreis­lauf­wirt­schaft, nach­hal­tige zukunfts­ori­en­tierte Beschäf­ti­gungs­sys­teme im digi­ta­len Leben und soziale Nach­hal­tig­keit und Gerech­tig­keit. Dazu zäh­len poli­ti­sche For­men der Kon­flikt­lö­sung im natio­na­len und glo­ba­len Kon­text sowie die Wahr­neh­mung der eige­nen sozia­len Identität.

Ange­dockt an eine Schnitt­stelle ist die im Mai 2019 von der bran­den­bur­gi­schen Lan­des­re­gie­rung beschlos­sene Fort­schrei­bung der „Nach­hal­tig­keits­stra­te­gie“. Mar­tin Pohl­mann vom Minis­te­rium für Länd­li­che Ent­wick­lung, Umwelt und Land­wirt­schaft des Lan­des Bran­den­burg (MLUL) beschreibt den beschwer­li­chen Weg von den Anfän­gen bis hin zur Umset­zung. 15 von den 17 Nach­hal­tig­keits­zie­len geben den Rah­men vor, inner­halb des­sen auf­wen­dig Indi­ka­to­ren ent­wi­ckelt wur­den, die eine Mess- und Ver­gleich­bar­keit der Maß­nah­men und Out­puts ermög­li­chen sol­len. Aller­dings gibt es auch kri­ti­sche Stim­men von Sei­ten der NGOs. Ihre gemein­sa­men For­de­run­gen zur Nach­hal­tig­keits­po­li­tik an den Land­tag und die künf­tige Lan­des­re­gie­rung haben zivil­ge­sell­schaft­li­chen Ver­eine und Lan­des­ver­bände in ihrer Erklä­rung „Her­aus­for­de­run­gen für eine lang­fris­tige Nach­hal­tig­keits­po­li­tik in Bran­den­burg“ for­mu­liert. Darin wird die jüngste Fort­schrei­bung 2019 der Lan­des­nach­hal­tig­keits­stra­te­gie und die bis­he­rige Umset­zung als unzu­rei­chend kri­ti­siert und ein Anfor­de­rungs­ka­ta­log präsentiert.

Eine wei­tere Schnitt­stelle ist die wirt­schaft­li­che Zusam­men­ar­beit mit Schwel­len- und Ent­wick­lungs­län­dern auf Grund­lage der vom Bun­des­mi­nis­te­rium für wirt­schaft­li­che Zusam­men­ar­beit und Ent­wick­lung (BMZ) 2014 geleg­ten Zukunfts­charta „EINEWELT – Unsere Ver­ant­wor­tung“. Hier gibt es das Ange­bot für Unter­neh­men, die ent­wick­lungs­po­li­ti­sche Exper­tise des BMZ bei der Fin­dung nach geeig­ne­ten Part­ner­schaf­ten und Koope­ra­tio­nen in Han­del, Pro­duk­tion und Aus­bil­dung in Anspruch zu neh­men. Michael Krake vom BMZ berich­tet über eine Reihe von erfolg­rei­chen Pro­jek­ten in Bran­den­burg, unter ande­rem von kom­mu­na­len Klimapartnerschaften.

Wer wis­sen will, wie die Abwan­de­rungs­spi­rale aus den länd­li­chen Gebie­ten in die Stadt umge­dreht wer­den kann, sollte sich umge­hend mit der Beelit­zer Erfolgs­story befas­sen. Die mit Abstand char­man­teste und dau­er­haft iden­ti­täts­stif­tende Idee war die der Baby­will­kom­mens­bäume. Seit die Stadt einen Koor­di­na­tor für Kom­mu­nale Ent­wick­lungs­po­li­tik in Per­son des Öko­lo­gen Michael Stein­land beschäf­tigt, zieht sich der Nach­hal­tig­keits­ge­danke in vie­len gut umge­setz­ten Kon­zep­ten zu Bil­dung, Stadt­ent­wick­lung und Immo­bi­li­en­ma­nage­ment, Mobi­li­tät, Gesund­heits­vor­sorge und ‑ver­sor­gung, Kul­tur, Bio­di­ver­si­tät und iden­ti­täts­stif­ten­den Maß­nah­men durch wie ein grü­ner Faden.

Die Eine-Welt-Pro­mo­torin­nen des Dia­ko­ni­schen Werks Tel­tow Flä­ming e.V. Ste­pha­nie Gün­ther, Julia Was­muth und Caro­lin Stolz geben einen Ein­blick in ihren ent­wick­lungs­po­li­ti­schen Arbeits­all­tag anhand von drei Anek­do­ten, die davon han­deln, wie anders (oder pra­xis­ori­en­tier­ter?) die Men­schen auf dem Land ticken und wo ihre Bedürf­nisse lie­gen. Simone Holz­warth berich­tet davon, was sich in Wer­der (Havel) tut, ange­fan­gen von den viel­fäl­ti­gen Initia­ti­ven des Ufer­werks, wie die Grün­dung des Ver­eins Stadt-Land.move und das Akti­ons­bünd­nis Bran­den­burg, das neben ande­ren die Akti­ons­wo­che Welt­of­fe­nes Wer­der vom 24. bis 31. August aus­ge­rich­tet hat.

Der doku­men­ta­ri­sche Teil die­ser Aus­gabe beinhal­tet eine Zusam­men­fas­sung des „Ent­wick­lungs­po­li­ti­schen Fach­ta­ges“ in Pots­dam sowie eine Kurz­fas­sung des Round Table Ent­wick­lungs­po­li­tik 2019. Dar­aus geht das in meh­re­ren Schrit­ten und mit vie­len unter­schied­li­chen Stake­hol­dern par­ti­zi­pa­tiv ent­wi­ckelte Stra­te­gie­pa­pier „Aus­tausch för­dern – Men­schen über­zeu­gen – Akzente set­zen“ hervor.

Schluss­punkt setzt das Posi­ti­ons­pa­pier „Nie­man­den zurück­las­sen! Für eine welt­of­fene, soli­da­ri­sche Gesell­schaft – gerade jetzt!“, in dem mehr als 70 ost­deut­sche ent­wick­lungs­po­li­ti­sche NGOs und Ein­rich­tun­gen u. a. erklä­ren, warum 30 Jahre nach dem Mau­er­fall Ras­sis­mus und Natio­na­lis­mus ihre ent­wick­lungs­po­li­ti­sche Arbeit unter­gra­ben und was sie dage­gen tun und fordern.

„Eine ernst­hafte Nach­hal­tig­keits­wende ist nicht bevor­mun­dend, son­dern ermög­licht Frei­heit, lang­fris­tig und welt­weit durch klare Rah­men­set­zun­gen und Spiel­re­geln, wenn wir Frei­heit ethisch und recht­lich neu und rich­tig inter­pre­tie­ren“ schreibt Felix Ekardt in sei­nem umfang­rei­chen Kom­pen­dium zur „Theo­rie der Nach­hal­tig­keit“. Und wei­ter: „Eine post­fos­sile Welt ist auch nicht lang­wei­lig und trau­rig, son­dern bie­tet neue Per­spek­ti­ven für ein glück­li­ches, gelin­gen­des Leben.“

Dann mal nichts wie los in die schöne, neue und post­fos­sile Welt!

Heike Möl­ler, Pots­dam im Novem­ber 2019